Der Rundfunk im Lang-, Mittel- und Kurzwellenbereich ist schon lange auf dem absteigenden Ast.
Zuerst merkte ich das, als der WDR den 1-MW-Sender Langenberg auf 1586/1593 kHz abschaltete.
Der war nachts in weiten Teilen Europas sehr gut zu empfangen und im Urlaub eine deutliche Alternative
zur Deutschen Welle. Ende März 2011 ist auch die BBC auf 648 kHz verstummt:
Closure of the 648 kHz service continues the process of withdrawing from direct broadcasts to Europe
in response to a declining number of direct listeners.
Kurzwellenversorgung für Mitteleuropa gibt es von der BBC schon länger nicht mehr.
Die Frage ist, ob man statt dessen unbedingt Radio Peking hören will.
Seitdem höre ich den BBC World Service über die Relaisstationen auf Ascension oder in Singapur –
letzteres sogar in DRM (digitaler Kurzwellenrundfunk). Das funktioniert aber längst nicht immer und sicher
nicht mit einem Taschenradio. Alternativ geht es nur noch über das Internet. Unterwegs belastet das
den Smartphone-Akku und auch die Internet-Flatrate stark. Zudem bekommt nicht nur die BBC mit,
was ich, und grob von wo aus, an Sendungen höre – in vielen Ländern ein entscheidendes Problem.
Speziell die Langwellen des Deutschlandfunks vermisse ich. Damit ließen sich die "Laufmaschen" des
UKW-Sendernetzes viel besser stopfen als mit den Mittelwellensendern. Die funktionierten tagsüber ja ganz
brauchbar. Nachts hatten sie aber heftig mit Fading und Interferenzen zu kämpfen; wohl auch wegen des
Gleichwellenbetriebs weit voneinander entfernter Sender. Auch fünf Jahre später gibt es dafür keinen Ersatz,
weder auf UKW noch auf DAB+.
Die Alternative zu AM wäre übrigens kaum SSB, wie man manchmal zu hören bekommt. Die Zeit für die
Neueinführung analoger Übertragungsverfahren ist lange vorbei. Statt dessen gibt es theoretisch DRM,
wofür es aber kaum akzeptable
Empfangsgeräte gibt. Ob so ein Empfänger 30 oder 300 EUR kostet, wäre mir relativ egal.
Aber ich müsste ihn, wie früher meinen Sony ICF7600D, problemlos mit mir herumtragen können. Und er müsste
mit einer Akkuladung wenigstens 10 h Betrieb machen.
Kaum Proteste gegen Abschaltung der deutschen Mittelwellen-Sender
Wie ich von einem einschlägig bewanderten Angestellten der ARD erfuhr, bekam Radio Bremen nach
Abschalten seines Mittelwellensenders gerade mal 200 Protestbriefe. Bei einem Stadtstaat kann ich das Abschalten
auch noch verstehen – dieses Gebiet lässt sich auch leicht mit 1-2 UKW-Sendern versorgen. In Flächenstaaten
sehe ich das wesentlich kritischer: Die Reichweite eines größeren Mittelwellensenders ist deutlich größer als die der
meisten UKW-Sender.
In der Frühzeit des Rundfunks war der Politik klar, dass der Rundfunk zur absolut kritischen Infrastruktur eines
Landes gehörte. So hatte der Sender Mühlacker über Jahrzehnte ein 1-MW-Dieselaggregat und genug Brennstoffvorräte,
um den Mittelwellensender für zwei Monate ohne äußere Stromversorgung betreiben zu können. Tempi passati:
Anfang 2012 wurde der Mittelwellensender Mühlacker auf 576 kHz abgeschaltet. Der hoch moderne, transitorisierte,
Sender wurde nach Kasachstan verkauft [1].
Als Alternative wird DAB angepriesen. Tatsache aber ist, dass die bei DAB benutzen Gleichwellen-Netze hoch genau
synchronisiert werden müssen und das klappt nur per GPS. Das US-Verteidigungsministerium könnte also problemlos
Teile des deutschen Hörfunks abschalten – ohne eine einzige Bombe zünden zu müssen! Die exakte Synchronisation
bedeutet auch, dass alle Sender eines Gleichwellenverbundes die gleichen Programme abstrahlen müssen. Platz für
Regionalradio ist da nicht.
Ismaning auf 801 kHz ist abgeschaltet
Zugegeben: Das Programm Bayern plus, das zuletzt auf der Mittelwelle des Bayerischen Rundfunks lief,
habe ich äußerst selten gehört – nicht mein Geschmack. Am 30. September 2015 wurde das stärkste Signal bei mir hier
abgeschaltet. Nach Aussage von Rainer Engler (DF2NU), der treibenden Kraft hinter Radio DARC, wollten die Zuständigen
des Bayerischen Rundfunks die Mittelwelle nur noch loswerden. Angebote, eine Abschiedsendung zu unterstützen oder zu gestalten,
gab es wohl von verschiedenen Seiten und wurden alle abgelehnt.
Bleibt für mich persönlich der Vorteil, dass ich jetzt weniger Großsignalprobleme habe.
Der Deutschlandfunk folgte Silvester 2015
Der ganz große Fehler ist das Abschalten der Mittelwellensender des Deutschlandfunks. Nach der
der offiziellen Karte ist beispielsweise das
Allgäu für den DLF größtenteils DAB-freie Zone. Weite Teile des Alpenvorlandes sind so gut wie nicht versorgt, genau wie das
westliche Mittelfranken. Auch auf UKW geht in den genannten Bereichen kaum etwas. Das 300-W-Senderchen in München dringt kaum über den
Autobahnring (A99) hinaus. Da darf ich als Funkamateur schon mehr Leistung machen!
Andere Sender sehen das Abschalten als Chance
Wenn man ein Software Defined Radio (SDR) mit Spektrumanzeige nutzt, entdeckt man in letzter Zeit immer breitere Spektren
von Rundfunkempfängern. An 12 kHz breite Kurzwellensignale aus China hat man sich schon längst gewöhnt. Des Vogel schießt
bislang aber ein rumänischer Sender auf Mittelwelle ab, siehe rechts: Das Signal ist über 18 kHz breit – mit über 9 kHz
Niederfrequenz-Bandbreite ist das ist schon fast UKW-Qualität. (Aufnahme vom 19. Oktober 2015, ca 20:20 UT, wohl ein
Hörspiel).
Früher hätte ein solches Überschreiten der Kanalbandbreite riesige Proteste ausgelöst, denn dieses Signal macht die beiden
Nachbarkanäle höchstens noch für Lokalsender nutzbar.
- Auf 1143 kHz betreibt der AFN hier in Deutschland noch ein paar Kleinsender mit 1 kW oder weniger.
Der nächste Nutzer dieser Frequenz sitzt dann in Ägypten, den höre ich hier nicht.
- Auf 1161 kHz gibt es nur Kleinsender in Algerien, Kairo und Großbritannien.
Pyrrhussieg für den Amateurfunk?
Als Funkamateur kann ich dieser Entwicklung aber auch positive Seiten abgewinnen:
- In wenigen Jahren werden wir Funkamateure neben dem Militär so ziemlich die einzigen sein,
die noch völlig ohne externe Infrastruktur Funkbetrieb machen können. Das schafft dann der Rundfunk nicht
mehr, das schaffen die Sicherheitsdienste nach der Digitalisierung mit Tetra nicht mehr.
Das zeigte sich beispielsweise nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021
[29].
- Seit ein paar Jahren ist das 40m-Amateurfunkband doppelt so breit wie früher – übrigens direkt zu Lasten
des Rundfunks. Und die Feldstärken im 40m-Bereich, die vielen Amateurfunkempfängern so große Probleme
bereiten, lassen nach.
- Auch an anderen Stellen merkt man, dass der Druck auf die Amateurfunkbereiche nachlässt – wenigstens auf
den niedrigeren Frequenzen: Bei 137 kHz und 475 kHz gibt es heute Amateurfunkbänder. Schließlich
stand die technische Entwicklung in diesem Frequenzbereich rund 80 Jahre fast still.
- Selbst von der digitalen Dividende des Fernsehens profitiert der Amateurfunk:
Die Begrenzungen im Bereich 50-52 MHz (6-Meter-Band, früherer Fernsehkanal 2) werden langsam gelockert.
Dieses Band heißt nicht umsonst bei Funkamateuren auch Magic Band.
Ganz anders sieht es aber auf den hohen Frequenzen aus, die sich zum Versorgen drahtloser Geräte
oder dem breitbandigen Überbrücken kürzerer Entfernungen eignen:
In Skandinavien ist das 70-cm-Band schon lange etwa halb so breit wie im Rest Europas: Oben und unten fehlen je
2 MHz und den Rest betrachten sicher viele kommerzielle Nutzer als nützlichen Sicherheitsabstand zum ISM-Band
bei 432 MHz. Bei 800 MHz wurde die digitale Dividende aus der Digitalisierung des Fernsehens
für viel Geld an die Betreiber der Mobilfunknetze versteigert.
Der Druck auf uns Funkamateure ist in Europa wohl nicht so stark wie in den USA. Dort haben die Funkamateure
den Notfunk als zentrales Rechtfertigungsmittel
ihrer Privilegien entdeckt. Das funktioniert bei uns längst
nicht in diesem Maß, weil unsere technische Infrastruktur viel stabiler ist. Der deutsche Konsument muss
im Schnitt mit 8 min Stromausfall im Jahr leben.
Eine Frage drängt sich allerdings auf: Was passiert mit den EMV-Grenzwerten unterhalb von 30 MHz, wenn dort
außer ein paar Zeitzeichensendern wie DCF77 um 80 kHz und der U-Boot-Kommunikation unterhalb von 30 kHz
kaum noch Funk betrieben wird? Selbst das Militär hat schon Alternativen zur Kurzwelle – die übrigens ein wesentlicher Grund für die
Leistungsbegrenzungen der DAB-Sender waren, bis das Fernsehen den VHF-III-Bereich räumte.
Quellenangaben
- [1] Wikipedia gibt diese Seite als Quelle dafür an, was aus dem transistorisierten
Mittelwellensender aus Mühlacker wurde. Deshalb hier eine Quellenangabe: Wenige Monate vor dem Abschalten
erhielt eine Gruppe von Funkamateuren die Gelegenheit, den noch arbeitenden Sender zu besuchen.
Durch meine Verbindungen zum entsprechenden Ortsverband konnte ich damals teilnehmen. Unsere Führer wussten um die
Fachkompetenz der Besucher und gingen deshalb etws mehr ins Detail als bei einem Tag der offenen Tür.
Bei den Gesprächen am Rande dieses Besuchs erwähnte einer der Mitarbeiter des SWR, wohin der Sender bereits verkauft sei.
- [2] The Telegraph, 6:15PM BST 15 Oct 2015: Russia 'tried to cut off' World Wide Web
- http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/russia/11934411/Russia-tried-to-cut-off-World-Wide-Web.html
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