Ein Großteil der Vorstufen des heutigen Amateurfunks fanden in den USA statt. Ganz wesentlich lag das an der
grundsätzlichen Einstellung, dass alles erlaubt sei, was nicht ausdrücklich verboten ist. Wie in so vielen Fällen
gibt es auch kein singuläres Ereignis, das den Anfang von etwas eindeutig definiert. So definiert die ARRL als
Beginn des Amateurfunks das Jahr 1901 [1]. Bis dahin war die drahtlose Kommmunikation nur teil der
elektrischen Experimente, die viele, vor allem Jugendliche, zu jener Zeit betrieben.
Um das Jahr 1911 waren in den USA wohl 75% aller Funkstationen private Einrichtungen und nur der Rest hatte einen
kommerziellen Hintergrund. Es gab noch keine Verstärkerelemente im heutigen Sinn. die gängige Methode zum erzeugen
von Hochfrequenz war der Betrieb einer Funkenstrecke – was im Namen dieser Technik bis heute nachwirkt.
Die ARRL schätzte, dass es 1911 in den USA etwa 600 Funkstationen gab.
Die Rolle von Guglielmo Marconi
Guglielmo Marconi (1874-1937) war nicht
der erste, der mit drahtloser Kommunikation experimentierte. Er war aber derjenige, der dieses Medium kommerzialisierte.
Während die meisten von ein paar Metern bis Kilometern Reichweite fasziniert waren, überbrückte er in Dezember 1901
erstmals den Atlantik. Das weckte offensichtlich bei vielen den Entdeckerdrang.
Marconi versuchte, die damals bekannte Funktechnik zu monopolisieren, beispielsweise durch zahlreiche Patente und
Exklusivverträgen mit Reedereien. Auch verkaufte seine Firma keine Funkanlagen, sondern vermietete komplette Problemlösungen,
samt Personal. So waren die Funker auf der RMS Titanic
Angestellte von Marconi und nicht der Befehlsgewalt des Kapitäns unterstellt. Diesen Funkern war strikt verboten, mit anderen
als Marconi-Stationen Verbindungen herzustellen. Das war einer der Gründe, warum nicht mehr Personen von der Titanic
gerettet wurden. Auch die Gründung von Norddeich Radio
soll hier ihren Anlass haben, weil Kaiser Wilhem II. über die Telefunken-Anlage auf seinem Schiff kein Telegramm bei der
Marconi-Künstefunkstelle aufgeben konnte. Gegen diese Geschichte spricht allerdings, dass die Marconi-Station auf Borkum
der deutschen Rechtsprechung unterstand.
In anderen Quellen (teilweise Fernsehdokumetationen) findet man auch andere Deutungen: Durch sein Geschäftsmodell habe
Marconi nur firmeninterne Kommunikation betrieben und so Fernmeldemonopole wie in Deutschland umgangen. Kaiser Wilhelm II.
baute damals an seiner Flotte und wollte wohl kaum von fremder Kommunikations-Infrastruktur abhängig sein.
Die International Wireless Telegraph Convention, 1906 in Berlin
In meiner US-Literatur taucht diese Konferenz [8] nicht auf. Das ist nachvollziehbar, weil damals
interkontinentaler Funk gerade erst möglich wurde. Und wenn, dann machte das die Marconi Company. Die Konferenz war wohl auch
wesentlich ein Treffen der Gegner des Marconi-Monopols, was sich an diversen nationalen Zusätzen zeigt. Trotzdem lassen
sich Linien von diesem Dokument zu recht aktuellen Regelungen feststellen [9], beispielsweise vom Artikel 3
zum diskriminierungsfreien Datenverkehr im Internet – siehe Stichwort Marcioni.
Das International Radio Meeting 1912
Wohl wesentlich die Lehren aus dem Untergang der Titanic und die zunehmend internationale drahtlose Kommunikation
führten zum Einberufen des International Radio Meeting 1912 in London: Der bisherige Wildwuchs war ganz offensichtlich nur
durch internationale Vereinbarungen zu begrenzen. Für die Funkamateure in den USA führte das zu wesentlichen Einschränkungen:
- Es wurden Lizenzen eingeführt – sowohl für den Funker als auch die Station.
- Es wurden Rufzeichen eingeführt, die im Funkbetrieb zu nennen waren.
- Die Leistung [wohl die dem Sender zugeführte] wurde auf 1 kW begrenzt.
- Betrieb war nur auf Wellenlängen unter 200 m gestattet. Das sollte die Reichweite auf ein paar 100 km begrenzen.
- Kommerzielle Stationen und Stationen der Marine erhielten bestimmte Rechte und Prioritäten.
Die Gründung der ARRL
Die 1912 eingeführten Regeln scheinen die Entwicklung des Amateurfunks nicht wesentlich behindert zu haben: 1914 gab es in
den USA etwa 2000 lizensierte Funkamateure – auch wenn diese wohl nicht unbedingt so bezeichnet wurden. Die begrenzte
Reichweite der einzelnen Stationen führten zur Bildung von Relaisketten: Bestimmte Stationen nahmen Telegramme an und gaben
sie in Richtung des Empfängers weiter. Diese Entwicklung führte 1914 zur Gründung der American Radio Relay League
(ARRL), die es bis heute unter diesem Namen als US-amerikanischen Amateurfunkverband gibt.
Das Weiterreichen von Telegrammen war damals völlig üblich, vor allem in der Schifffahrt: Die Küstenfunkstellen hatten
nun einmal keine globale Reichweite wie später auf Kurzwelle. Entsprechend groß war die Resonanz: Im Frühsommer 1914 gabe die
ARRL die erste Rufzeichenliste heraus, die neben den heute üblichen Angaben von Rufzeichen, Name und Adresse technische
Angaben zur Station enthielten. Diese erste Rufzeichenliste hatte rund 300 Einträge. Die zweite Ausgabe vom März 1915
enthielt schon 600 Einträge. Im Dezember 1915 erschien dann die erste Ausgabe der QST, der ARRL-Zeitschrift. Abgesehen von
einer Unterbrechung durch den 1. Weltkrieg erscheint die QST bis heute als Monatszeitschrift.
Im Februar 1916 wurde dann versucht, Telegramme möglichst schnell von Küste zu Küste zu verschicken. Die Übertragungszeit war
eine Stunde. Ein Jahr später gelang eine Übertragung samt einer Antwortnachricht zurück innerhalb von 20 min. Das endete aber
im April 1917 mit dem Kriegseintritt der USA. Die Stationen mussten abgebaut oder versiegelt werden. Im letzten Telegramm
wurden Funker für die Marine gesucht. Innerhalb von 10 Tagen meldeten sich 500 Funkamateure. Ab Oktober 1919 durften die
US-Funkamateure wieder arbeiten. 1921 fand in Chicago ein Treffen statt, das von 400 Funkamateuren aus den ganzen USA
besucht wurde.
Dass Behörden bei Bedarf auf die Fähigkeiten von Funkamateuren zurückgriffen, war nicht auf den 1. Weltkrieg und die USA
beschränkt: Im 2. Weltkrieg gab es über Großbritannien verteilt Horchfunker, die
Enigma-Telegramme aufnahmen und nach
Bletchley Park weiterleiteten. In der Schweiz saßen
zur gleichen Zeit im Funkabhorch auch Funkamateure [5].
Die nächste Revolution: Röhrentechnik
Die bis dahin genutzte Funkentechnik führte zwangsweise zu sehr breiten Signalen: Ein
Wagnerscher Hammer unterbrach den Strom durch
eine Spule und setzte die Energie im Magnetfeld in einen Funken um. Dann musste erst das Magnetfeld wieder aufgeladen
werden, um den nächsten Funken zu erzeugen. Das änderte sich mit der Einführung der Vakuumröhre: Es wurde möglich,
ein kontinuierliches Hochfrequenzssignal (continuous wave, CW) zu erzeugen. Mit Röhren war es auch möglich, viel
schmalbandigere und empfindlichere Empfänger zu bauen als bisher.
Die ersten Verstärkerröhren wurden während des 1. Weltkriegs entwickelt. Ab 1919 konnten die ersten Funkamateure damit
experimentieren, aber nur sehr wenige bekamen überhaupt Röhren in die Hand. Das änderte sich 1921, als die ersten Röhren
kommerziell hergestellt wurden.
Diese Technik führte zu einer Sensation: Im Dezember 1921 konnten 30 US-Stationen in Europa aufgenommen werden! Das waren
weit mehr als die 1000 Wellenlängen, die man bislang als Grenze betrachtet hatte. Dafür hatte
die ARRL aber extra Funkamateure samt Ausrüstung nach England gesandt. Diese einseitigen Verbindungen benutzten eine
Wellenlänge von 200 m (1,5 MHz), also im heutigen Mittelwellenbereich. Eine solche Verbindung lässt sich auch heute nicht
wirklich einfach herstellen. Trotz der Abschaltung der meisten Mittelwellenempfänger in Mitteleuropa und diversen leeren
Kanälen gelang es mir noch nie, einen Mittelwellen-Rundfunksender aus den USA zu empfangen. Vielleicht sollte ich doch mal
im Winter vor Morgengrauen an der Station sitzen...
1923 wurden die ersten Zweiwege-Verbindungen aus den USA nach England und Frankreich hergestellt. Im gleichen Jahr gab es
eine Vielzahl von Empfangsberichten aus Neuseeland und Australien. Auch von Schiffen in chinesischen und japanischen Gewässern
kamen Empfangsberichte für Funkamateure an der Westküste.
Je kürzer, um so besser!
Ab 1922 gab es Versuche bei immer höheren Frequenzen (kürzeren Wellenlängen). Das überraschende Ergebnis: Je höher
die Arbeitsfrequenz war, um so besser funktionierte es. Anfangs glaubte man an irgendwelche Zufälle. Aber dann begann der
freiwillige Umzug von 200 m auf die kurzen Wellen. Bald wählte man die harmonischen Bänder 80/40/20 m,
was einige technische Aspekte vereinfachte: Manche Antennen waren auf mehreren dieser Bänder in Resonanz, man konnte den
Empfänger einfach mit den Oberwellen des Senders auf einem niedrigeren Band kalibrieren usw.
1924 war die bisherige Frequenzaufteilung nach dem International Radio Meeting von 1912 in den USA aus allen Nähten
geplatzt. Deshalb berief das US-Wirtschaftsministerium die 3. National Radio Conference [2] ein, bei der
der ganze bislang genutzte Funkbereich neu verteilt wurde. Die einzelnen Funkdienste erhielten getrennte Frequenzbänder.
Die Funkamateure erhielten grob die harmonischen Bänder, die sie in der letzten Zeit sowieso schon genutzt hatten.
Mit diesem Hintergrund trafen sich im April 1925 Amateurfunk-Vertreter aus 22 Ländern in Paris und gründeten die
International Amateur Radio Union (IARU). Eine der Erkenntnisse dort: Der typische Funkamateur ist auf der ganzen
Welt der Gleiche. ("We have discovered that the amateur as a type ist the same the world over." [3]
1927 fand in Washington das 2. International Radio Meeting statt, nach London 1912. Viele der dort vertretenen Staaten wollten
den Amateurfunk grundsätzlich verbieten. Am Ende setzten aber einige Staaten, wohl vor allem die USA, den Amateurfunkdienst
als vollwertigen Funkdienst mit seinen Privilegien durch.
1928 war die Aufteilung in einzelne Funkdienste noch längst kein ehernes Gesetz [4]: Schiffsfunk- und
Amateurstationen kommunizierten miteinander und halfen sich kollegial aus. Die US-Marine wickelte 1927 79% ihres Funkverkehrs
über Kurzwelle ab. Die Reichweiten waren häufig nicht so, dass man auf den traditionellen Telegrammverkehr über
Relaisketten hätte verzichten können. Die New York Times betrieb unter dem Rufzeichen 2UO eine Kurzwellenstation, über die sie
Nachrichtendienste verbreitete, aber auch Telegramme von oder an Amateurstationen vermittelte. Der Großteil des Verkehrs
fand dabei auf 40 m statt.
Warum es den Amateurfunkdienst bis heute gibt
(02.05.24) Der Amateurfunk begann in den USA. Deshalb sieht man dort wohl auch etwas weiter.
Die FCC, die entfernt mit unseren BNetzA vergleichabr ist, schreibt deshalb [11]:
The rules and regulations in this part are designed to provide an amateur radio service having a fundamental purpose
as expressed in the following principles:
- Recognition and enhancement of the value of the amateur service to the public as a voluntary noncommercial communication service,
particularly with respect to providing emergency communications.
- Continuation and extension of the amateur's proven ability to contribute to the advancement of the radio art.
- Encouragement and improvement of the amateur service through rules which provide for advancing skills
in both the communication and technical phases of the art.
- Expansion of the existing reservoir within the amateur radio service of trained operators, technicians, and electronics experts.
- Continuation and extension of the amateur's unique ability to enhance international goodwill.
Grob übersetzt: Die Regeln zum Amateurfunk wurden festgelegt wegen
- seiner Möglichkeiten im Notfunk,
- seines Beitrags zur Weiterentwicklung der Funktechnik,
- der Ermutigung zur Weiterentwicklung des Amateurfunks zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten mein Funkbetrieb und Technik,
- seiner Fähigkeit, ausgebildete Funker, Techniker und Experten hervorzubringen, und
- Fortsetzung und Erweiterung der einmalingen Möglichkeiten des Amateurfunks für die Völkerverständigung.
Oder, ganz kurz: Es gibt uns und unsere Privilegien, weil wir etwas zur Gesellschaft beitragen können.
Dem sollten wir uns als würdig erweisen! Ich habe mir dafür den Notfunk und die Weiterentwicklung der Funktechnik ausgesucht.
Letzteres nicht, indem ich besonders neuartige Dinge entwickle, sondern einschlägige Technik möglichst leicht zugänglich mache.
Das funktioniert ganz gut, wie ich aus dem recht eifrigen Betrieb in dieser Website und regelmäßigen Danksagungen weiß.
Fazit
Ob oder wie sehr die ARRL in ihren Schriften ihre eigene Rolle übertreibt, kann und will ich hier nicht beurteilen. Bis
heute ist nicht zu übersehen, wie sich die ARRL bemüht, sich für die Privilegien des Amateurfunks in den USA zu rechtfertigen
– schließlich zahlen andere Funkdienste teils riesige Beträge für ihre Frequenzzuweisungen.
Besonders deutlich wird das beim Notfunk. Die USA mit ihrer labilen, überalterten Infrastruktur und den häufig riesigen
Entfernungen ist hier deutlich mehr auf den Amateurfunk angewiesen als wir hier im hoch entwickelten, dicht bediedelten
Mitteleuropa. Auch viele andere Länder, vor allem in der dritten Welt, erkennen langsam die Werte des Amateurfunks
als Dienst für die Allgemeinheit. Wenn andere schon lange keinen Handyempfang mehr haben, kommunizieren wir noch lange.
Literatur
- [1] N.N.: The Story Of Amateur Radio
- In: The Radio Amateur's Handbook, 10th Edition, p. 1ff. American Radio Relay League, West Hartford, Conn., 1933
- [2] Third National Radio Conference
- [3] N.N.: The Story Of Amateur Radio
- In: The Radio Amateur's Handbook, 10th Edition, p. 6. American Radio Relay League, West Hartford, Conn., 1933
- [4] Johnske, Fritz: Mit Segelschiff und KW rund um Amerika. Funkverkehr mit
Funk-Amateurstation
- In: Funkbastler, Heft 39, vom 21. September 1928. Wiedergegeben in: AGCW-DL Info Winter 2016, S. 26ff
- [5] Bühler, Hans (HB9XJ): Funk- und Spionage in der Schweiz. Rote Kapelle leistete
Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
- In: AGCW-DL Info Winter 2016, S. 18ff
- [6] Festschrift 25 Jahre Partnerschaft der Ortsverbände Bonn (G03) und Potsdam (Y09) im Deutschen Amateur-Radio-Club e.V.
- Die Festschrift enthält auch eine kurze Geschichte des Amateurfunks in Deutschland
- [7] Seefunk und Seeschiffahrt
- Das Kapitel Seefunk-Geschichte enthält umfangreiche Beschreibungen der Funkgeräte aus der Anfangszeit
- [8] International Radio Telegraph Convention of Berlin: 1906
- Faximile auf der Website der ITU
- [9] [ohne Autorenangabe] 110 Jahre Radio Regulations
- In: cqDL 2/2017, S. 42
- [10] Heise Online: Start mit sieben Angestellten: Die Gründung der Rundfunkikone BBC (18.10.22)
- U.a. ein Bericht über die Anfänge des Funkwesens in GB
- [11] Code of Federal Regulations, Title 47 Chapter I Subchapter D Part 97 Subpart A § 97.1
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